Sternstunde von E. Schütterle

Kolumne für STADTKIND 6/2015

mein gel(i)ebtes hannover
bemerkenswerte einblicke und erhellende ausblicke

Sternstunde

Manchmal weiß man in Hannover nicht, wo man in Hannover hin soll. Eine Veranstaltung jagt die andere. Angefangen vom intimen Konzerterlebnis im Kanapee bis hin zu Lang Lang im riesigen Kuppelsaal, vom kleinen Hinterhoftheater bis hin zum Opernhaus, vom winzigen Kulturpalast in Linden bis hin zur TUI- Arena auf dem Expo-Gelände. Dazu jedes Jahr jede Menge Festivals, mit jeder Menge Publikum.

Schade eigentlich, dass bei diesem riesigen Angebot so manch kleine kulturelle Kostbarkeit von Menschen und Medien übersehen wird. Ein kleines aber wichtiges Beispiel, das auch ich verpasst hätte, wenn ich nicht persönlich eingeladen worden wäre: Zum 17. und letzten Mal gab es im KinderTheaterHaus in der Kestnerstraße „Wenn ein Stern vom Himmel fällt“, ein Musical für Familien & Kinder, produziert vom Musiktheater Konrad e.V. und finanziert von unseren Sparkassenstiftungen und ganz erheblich von der Gundlach Stiftung. Was soll’s, werden Sie jetzt sagen. Theater-AGs an Schulen, Privat- und Staatstheatern machen doch am laufenden Band hervorragendes, teilweise geniales Kinder- und Jugendtheater. Ja – aber sie arbeiten mit „ausgesuchten“, bereits motivierten Mitspielern. Dieses Musical ist/war jedoch ein Gemeinschaftswerk – ohne Ausnahme – aller Kinder der Klasse 5a (jetzt 6a) der IGS Linden. Da gab es, wie mir eine junge Mitspielerin verriet, Interessierte, Mitläufer, Gegner …und notorische Störer. Und da gab es den bewundernswert geduldigen Stückeschreiber, Komponisten und musikalischen Leiter Konrad Haas, der jedem Kind ein individuelles Solo quasi auf den Leib schrieb. Es gab den einfühlsamen Schauspieler und Regisseur Bernd Tauber, den einfallsreichen Bühnenbildner Uwe Oelkers, die virtuose Kostümbildnerin Denise Leisentritt, den Gitarre spielenden Schirmherrn Wolfgang Stute, die Flöte spielende Anstifterin, Intendantin und Mäzenin Uschi Hansen und jede Menge Assistenten, Helfer, Techniker und professionelle Musiker – nicht zu vergessen, die sieben charmanten, dem Kindesalter längst entwachsenen Streicherinnen, die dem ansonsten rockigen Sound einen warmen Klangteppich unterlegten.

Das Ergebnis: Ein flottes, dramaturgisch stringentes, pfiffig inszeniertes märchenhaftes Musical. Ein phantasievoller Traum, gespickt mit Elementen heutiger Kommunikationsmittel. Fetzige Musik und ein spielfreudiges, selbstbewusstes Ensemble, das sich sogar erlaubte – wie die Profis – Derniere-Gags einzubauen.

Der obligatorische pädagogische Zeigefinger hielt sich im Stück dezent zurück, dafür kann der pädagogische Nutzen dieser Produktion ohne Zweifel als eine besondere Sternstunde bezeichnet werden. Die unausgesuchten Kinder, zum großen Teil mit Migrationshintergrund, erarbeiteten sich während der langen Probenarbeit spielend Mut, Ehrgeiz, Gemeinschaftsgefühl, Toleranz, Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewusstein. Durch die unaufhaltsam wachsende Eigendynamik sollen selbst die nervendsten „Klassenkasper“ gezähmt worden sein. Wir, das Publikum, spürten förmlich, wie die Mitwirkenden einen großen Schritt zu sich selbst gemacht haben, Selbstsicherheit zeigten und ihr möglicherweise selbst noch nicht bekanntes Talent, wenn auch nicht durchgehend mit dem inhaltlich gebotenen Ernst, so doch mit natürlicher Spielfreude zum besten gaben. Freiwillig brachten sie für diese Eigenproduktion ihre Frei- und Ferienzeit ein. Ob sie auch ihre eigenen Gedanken und Wünsche zum Stück einbringen durften, fragte ich nach der Vorstellung das schlaue Füchslein. „Aber sicher“, bekam ich ganz sicher zur Antwort, „besonders über den Schluss haben wir ganz heftig diskutiert.“

Ich hätte absolut nichts dagegen, wenn dieses gelungene Experiment beim nächsten Kinderfest in der Oper noch einmal gespielt würde und diese segensreiche Idee Nachfolger und Nachmacher finden würde.

Erwin Schütterle www.natuerlichhannover.de


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